Der EU Green Deal – wie wird Europa bis 2050 klimaneutral?
Im Dezember 2019 wurde er erstmals vorgestellt, inzwischen nimmt er immer mehr Gestalt an: der Green Deal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das Ziel dieses ehrgeizigen Zukunftsszenarios ist ein klimaneutrales Europa bis zum Jahr 2050. Ähnlich wie bei den 17 SDGs (UN Sustainable Development Goals) gibt es auch in diesem Plan Überschneidungen und Wechselwirkungen, die zu berücksichtigen sind. Die 17 SDGs sollen mit dem Green Deal ebenfalls unterstützt werden, denn sie bilden den globalen Fahrplan in eine nachhaltige Zukunft für alle.
Erste Schritte
Am 14. Jänner dieses Jahres wurde zunächst „The European Green Deal Investment Plan and Just Transition Mechanism“ veröffentlicht, in dem über € 1 Billion an Investitionsvolumen über die nächsten 10 Jahre vorgesehen ist. Natürlich sollen auch private bzw. institutionelle Investoren ins Boot geholt werden, die Europäische Zentralbank wird ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Der „Just Transition Mechanism“ soll sicherstellen, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Zukunft fair und für alle positiv stattfinden kann. Innerhalb der Periode 2021-2027 werden € 100 Milliarden für Menschen und Gemeinden in den am stärksten betroffene Regionen, die von fossilen Energieträgern abhängig sind, zur Verfügung stehen. Im Rahmen von jährlichen Sustainable Investment Summits sollen Fortschritte dokumentiert und gemeinsam mit allen Stakeholdern an der Umsetzung weitergearbeitet werden.
Das neue Europäische Klimagesetz wurde am 4. März 2020 zur Begutachtung vorgelegt. Bis zum 30. Juni 2021 bewertet die Kommission, welche Änderungen bei den Rechtsvorschriften der Zielvorgabe der Union bis 2030 vorgenommen werden müssen, um ein rund 50%-ige Emissionsreduktion gegenüber den Werten von 1990 zu erreichen. Bis zum 23. September 2023 und in der Folge alle fünf Jahre bewertet die Kommission die Fortschritte unter Einbindung der Europäischen Umweltagentur.
Kreislaufwirtschaft – die Basis der Klimaneutralität
Einige Strategiepapiere zu den Fokusthemen des Programmes liegen bereits vor, andere sind noch in Ausarbeitung. Kreislaufwirtschaft stellt die Basis des gesamten Green Deal dar. Die Kommission ist davon überzeugt, mit der Umstellung von linearer Produktion auf Kreislaufwirtschaft bis zu 50% der CO2-Emissionen einsparen zu können. Dazu wurde am 11. März 2020 der Circular Economy Action Plan mit folgenden Schwerpunkten präsentiert:
- Die Reduktion des Abfalls von elektrischen und elektronischen Geräten durch „product-as-a-service“- Lösungen. Damit bleiben Geräte im Besitz der Produzenten und KonsumentInnen erhalten Serviceleistungen. Diese haben damit auch Interesse, Produkte zu erzeugen, die eine längere Lebensdauer haben sowie leichter zu reparieren bzw. zu recyceln und wiederzuverwenden sind.
- Da Textilien zu fast 100% verbrannt oder auf Mülldeponien entsorgt werden, soll auch im Textilbereich bei Produkten und Herstellung auf Nachhaltigkeit geachtet sowie Wiederverwendung und Recycling gefördert werden.
- Der Kunststoffkonsum könnte sich bis 2050 mehr als verdoppeln, damit sind 20% des Ölverbrauches, 15% der Treibhausgasemissionen und Tonnen von Plastikmüll in den Ozeanen verbunden. Einwegprodukte müssen daher durch Mehrweglösungen ersetzt werden. Mikroplastik in diversen Produkten soll ebenfalls eingeschränkt werden.
- Verpackungsmüll ist eines der größten Probleme, 2017 lag das Volumen bei 173 kg pro EU-Bürger. Einwegprodukte müssen auch hier ersetzt wedden, ebenso wie Einweggeschirr und Tischtücher. Dazu werden neue Gesetze ausgearbeitet.
- Kommunaler Abfall erreicht in der EU eine Tonne pro Jahr und EinwohnerIn. Neue Wege zur Müllvermeidung und Wiederverwendung von Ressourcen müssen ausgearbeitet werden.
Da Europa ein ressourcenarmer Kontinent ist, macht Kreislaufwirtschaft absolut Sinn. Dadurch kann Europa unabhängiger von globalen Lieferanten werden und im besten Fall auch kostengünstiger produzieren. Lieferkettenproblematiken wie schlechte Arbeitsbedingungen und Umweltrisiken sind auch für Unternehmen damit leichter zu vermeiden.
Die sieben weiteren Themenfelder des EU Green Deal
Der Green Deal besteht aus den folgenden großen Themenfeldern, die für eine klimaneutrale Zukunft in Angriff genommen werden müssen.
- Saubere Energie
Es geht um eine weitgehende Dekarbonisierung des Energiesystems, sowohl im Bereich der Produktion als auch beim Verbrauch. Wichtig wird es auch sein, alternative bzw. erneuerbare Energiequellen weiter auszubauen. - Nachhaltige Industrie
Auch der Umstieg auf eine nachhaltige Industrie basiert teilweise auf dem Konzept der Kreislaufwirtschaft. Im Vordergrund stehen dabei die Reduktion des Ressourcenverbrauches und die Wiederverwendung von Materialien. Am 10. März 2020 wurde die Industriestrategie für ein global wettbewerbsfähiges, umweltfreundliches und digitales Europa vorgestellt. Die Kernthemen dieser Strategie umfassen eine Wasserstoffallianz, eine CO2-arme Industrie, Industrie-Clouds und –Plattformen sowie eine Rohstoff-Allianz. - Bauen und Renovieren von Gebäuden
Im Bauwesen liegt der Fokus auf Energieeffizienz sowie der Ausrichtung auf Kreislaufwirtschaft, z.B. Recycling bzw. Wiederverwendung von Baumaterialien und verbesserte Abfalltrennung. Auch Digitalisierung (Stichwort smart home) sowie Ideen für leistbares Wohnen und innovative Finanzierungskonzepte werden für den Wandel notwendig sein. - Nachhaltige Mobilität
Treibhausgas-Emissionen aus dem Straßenverkehr machen rund 90% der Emissionen im Transportwesen aus. Daher spielen Änderungen im Straßenverkehr in Richtung Verkehrsmanagement und autonome Mobilität, v.a. „mobility-as-a-service“-Lösungen, eine wichtige Rolle. Neue Transportmöglichkeiten, die Einpreisung von Umweltbelastungen und die Förderung von alternativen Antriebssystemen sowie die Anpassung des EU-Emissionshandels werden dabei zentrale Bereiche sein. - Sichere, nahrhafte und qualitativ hochwertige Lebensmittel
Zu diesem Bereich gibt es seit Mai 2020 die „Farm to Fork“-Strategie, die darauf abzielt, dass den EU-BürgerInnen gesunde, erschwingliche und nachhaltige Lebensmittel zur Verfügung stehen. Dem Klimawandel muss entgegengewirkt werden, Umwelt und Biodiversität müssen geschützt werden. Weiters geht es um faires Wirtschaften entlang der Lebensmittel-Wertschöpfung sowie den Ausbau der Biolandwirtschaft. Übergewicht und Fehlernährung soll durch entsprechende Angebote und Auszeichnungspflichten bekämpft werden, Lebensmittelabfälle müssen um 50% reduziert werden. - Biodiversität
Am 20. Mai 2020 wurde die Biodiversitäts-Strategie 2030 publiziert.
Diese Strategie ist das neue Rahmenprogramm der EU für die „UN Biodiversity Conference“ im Oktober 2020. Kernelemente sind ein EU-weites Netzwerk von geschützten Regionen zu Land und im Wasser mit besonders hoher Biodiversität und hohem Klimawert, wobei auf die bestehenden Natura 2000 Bereiche aufgebaut wird. Weiters soll ein „EU Nature Restoration Plan“ den Wiederaufbau von geschädigten Ökosystemen fördern sowie diese nachhaltig bewahren. Maßnahmen dazu sind u.a. neue Vorgaben und Zielwerte sowie eine höhere Aufmerksamkeit für diese Themen in Finanzbereich, Wirtschaft und Politik. - Reduktion der Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden
Natürlich überschneidet sich dieser Bereich mit einigen Unterpunkten aus den vorgenannten Themenblöcken, daher unterstützen bereits ausgeführte Maßnahmen auch hier. Als Beispiele seien die Biodiversität, die Reduktion von Düngemitteln in der Landwirtschaft und der Kampf gegen Mikroplastik genannt. Die Chemieindustrie spielt in diesem Bereich jedenfalls eine zentrale Rolle.
Alle diese Ideen und Vorgaben werden noch viel detaillierter ausgearbeitet werden müssen, um von allen Mitgliedsstaaten mitgetragen werden zu können und in der Folge in nationale Gesetzgebungen einzufließen. Sie geben uns aber bereits jetzt eine Idee, wie die Zukunft in Europa aussehen könnte, wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen und eine Vorreiterrolle beim Kampf gegen den Klimawandel einnehmen möchten. Dazu benötigt es großer Anstrengungen, hoher Investitionen und vieler Diskussionen. Der Plan ist ehrgeizig, aber machbar. Und wir sind wahrscheinlich die letzte Generation, die eine enkeltaugliche Zukunft gestalten kann – diese Aufgabe müssen wir ernst nehmen, wenn wir das Leben zukünftiger Generationen nicht gefährden wollen.
In vielen Bereichen können Unternehmen eine wichtige Rolle einnehmen. Wir halten Sie in unseren Beiträgen zum #breakthroughthursday by eccos²²® auf dem Laufenden und unterstützen gerne Sie im Rahmen unserer Sparringspartnerschaften