Heute haben wir einen speziellen Gastautor – Mag. Stephan Strzyzowski / Chefredakteur „die wirtschaft“ (Wirtschaftsverlag) – eingeladen, der im März dieses Jahres ein hochinteressantes Gespräch mit Zukunftsforscher Matthias Horx geführt. Prädikat absolut lesenswert!
Wir sind in Probleme verliebt Auch wenn sich das Klima sehr drastisch verändern wird, hält Matthias Horx Panik für fehl am Platz. Im Gegenteil. Wie wir durch einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel in eine schöne und faszinierende Zukunft starten können, erklärt der Trendforscher im Interview. |
© Klaus Vyhnalek, „Wir können nicht nur auf Verzicht setzen.“ Matthias Horx |
Wenn wir in die Zukunft blicken, haben wir immer öfter ein Worst-Case-Szenario in Bezug auf den Klimawandel vor Augen. Wenn sich die Entwicklung tatsächlich so zögerlich fortsetzt: Wie wird unsere Welt in 25 Jahren aussehen?
Es wird sicher wärmer auf dem Planeten, aber ob sich wirklich die ganz dramatischen Katastrophenszenarios bewahrheiten, möchte ich bezweifeln. Die Zukunft ist ja immer eine innere Fiktion, die mit den wirklichen Zuständen, die einmal sein werden, nicht unbedingt etwas zu tun hat. Wir neigen dazu, durch Angst zu übertreiben. Angst ist ein Warnfaktor und kann sehr nützlich sein. Aber wenn wir Angst haben, nehmen wir nur das Extreme war. Das lässt sich in den Medien super ausmalen: mit Wirbelstürmen, Dürren und Fluten, die dann wie in Roland Emmerichs Filmen auch noch den Himalaya überschwemmen. Das macht natürlich ohnmächtig, aber es ist nicht real.
Sind diese Bilder aber nicht nötig, um den Ernst der Lage zu vermitteln?
Das Problem liegt darin, dass das Hirn bei Angstorientierung eher zu blockieren beginnt und wir in Angststarre verfallen. Wie bei einem Kaninchen im Angesicht des Wolfs. Die Folge ist, dass es gefressen wird. Diesen Mechanismus gilt es aufzubrechen.
Wie?
Indem wir die Erfolge, die es bereits gibt, nicht immer nur schlechtmachen. Und indem wir unsere Katastrophenverzerrung wahrnehmen und die Angst nicht als alleinigen Maßstab nehmen. Wir können die Situation zum Beispiel aus einer Metaperspektive betrachten. Was wir jetzt mit dem Klimawandel erleben, gab es schon immer, und immer haben sich Spezies angepasst. Es war auch schon immer so, dass verschiedene Spezies das Klima verändert haben. Die Blaualgen haben zum Beispiel vor einer Milliarde Jahren damit begonnen, Sauerstoff zu produzieren, worauf 90 Prozent der bis dahin vorhandenen Arten ausgestorben sind. Aus so einer langfristigen Dimension relativiert sich, was gerade passiert. Wir glauben, dass wir den Planeten zerstören können durch unser Verhalten. Das ist aber eine Art negativen Größenwahns. Das Klima wird sich verändern, aber wir werden uns auch adaptieren. Fangen wir doch heute damit an!
Es wird sich aber sehr zu unseren Ungunsten verändern, wie es aussieht.
Da ist Angst nur eine logische Reaktion. Das Klima erwärmt sich definitiv mit allen negativen Auswirkungen auf die Menschheit. Wir werden aber auch Teile dieser Entwicklung verhindern und auch den Gebrauch von Karbonwasserstoffen reduzieren. Dass hier bereits extrem viel passiert, dass wir mitten in einer Wende stecken, wird aktuell größtenteils ausgeklammert. Auch deshalb, weil wir in einer Clickbaiting-Welt leben, in der mit Horrorschlagzeilen und -bildern Geld gemacht wird. Katastrophen, ja sogar Apokalypsen sind heute zu einer Art Geschäftsmodell geworden. Konstruktive Lösungen, die es ja reihenweise gibt, holen dagegen niemanden hinter dem Ofen hervor.
Wer profitiert von diesem Zustand?
Die fossilen Industrien. Sie versuchen sich zu halten und das tun sie auch mit Tricksereien. Sie wollen, dass wir abhängig von ihren Erzeugnissen bleiben. Doch es gibt bereits eine starke Gegenbewegung, die laufend anwächst. Dieser Konflikt spiegelt sich gerade auch im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. In diesem Krieg geht es auch um ein fossiles Wertschöpfungsmodell. Solche Turbulenzen finden immer in Übergangsphasen statt. Mit ihnen setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass wir rasch einen Wandel in neue Technologien brauchen. Fossile Energien sind nicht mehr sicher. Diese Tatsache erzeugt Druck auf Markt und Politik. Diese Veränderung ist bereits im Gange, doch sie wird auch noch immer angezweifelt.
Eine tragende Rolle bei dieser Transformation muss die Wirtschaft spielen. Wie tief ist die Erkenntnis bereits verwurzelt?
Ich kenne keinen CEO, der die Frage von postfossiler Transformation inzwischen nicht ernst nimmt. Und ich sehe auch bereits sehr viele konkrete Bemühungen. In allen Branchen ist viel in Gang gekommen, ob es jetzt um die Stahlindustrie geht, die an Wasserstoff arbeitet, oder um die Modeindustrie, die sich gerade neu erfindet.
Liegt das Problem aktuell also darin, dass einfach noch kein positives Gesamtbild absehbar ist?
Es ist unsere innere Gespaltenheit, die uns hindert. Die Unfähigkeit, ein klares „Ja zum Wandel“ zu sagen. Wir machen uns die „Blaue Revolution“, wie ich sie nenne, selber schlecht. Ich fahre zum Beispiel seit zehn Jahren Elektroautos. Ich bin überall hingekommen, obwohl alle gesagt haben, dass es nicht geht. Und E-Auto-Fahren ist wirklich attraktiv. Aber es wird immer nur genörgelt, schlechtgemacht, statt auch mal etwas gut zu finden. In Deutschland werden Elektroautos noch dieses Jahr einen Marktanteil von mehr als 30 % an den Neuzulassungen erreichen. Die Batterietechnik wird laufend verbessert, die Effektivität steigt und der Preis sinkt. Das skaliert sich dann sehr schnell und Dinge werden möglich, die noch vor Kurzem unmöglich schienen. Dasselbe gilt für die erneuerbaren Energien, die jetzt durch den Krieg noch einmal einen massiven Schub erleben werden. Aber der öffentliche Diskurs geht immer nur darum, was nicht geht, dass es nicht reicht und so fort. Wir sind in Probleme verliebt, statt Lösungen zu schätzen.
Welche Entwicklungen können abgesehen von der Elektromobilität zu einem positiven Zukunftsbild beitragen?
Wir erleben gerade sehr spannende Entwicklungen im Recyclingbereich. Immer mehr Stoffe werden von vornherein für eine Kreislaufnutzung produziert. Der Markt für recyceltes Plastik zum Beispiel ist regelrecht explodiert. Bei den Baustoffen kommen wir immer weiter voran: karbonfreier Beton, Wasserstoff-Stahl, neue Naturprodukte, da geht etwas. Natürlich muss man auch an die System-Grundlagen ran. Wir stehen kurz vor einem globalen Abkommen, das den gesamten Lebenszyklus von Plastik neu organisiert. Die Batterie-Technik verbessert sich laufend. Die Landwirtschaft entwickelt sich ebenfalls weiter, und der Anteil der Fleischersatzprodukte steigt stetig. Diese Entwicklungen bekommt aber kaum jemand mit. Wir brauchen vor allem einen Bewusstseinswandel, wir brauchen Mind-Change in Richtung auf ein konstruktiveres Denken. Wir können nicht nur auf Verzicht setzen. Die ökologische Bewegung ist gut darin, das Negative zu zeigen, aber Abschreckung sorgt nicht für Aktivität. Solange Elektroautos hässlich aussehen und nicht faszinierend sind, wird sie niemand wollen. Die „blaue“ Zukunft muss schön, faszinierend, interessant sein und höhere Lebensqualität versprechen, dann wird sie auch kommen.
Und das kann sie?
Sie kann es nur, wenn wir können. Erstmal auch als Individuen. Ich versuche zum Beispiel, meinen CO2-Ausstoß zu senken, ohne auf Wesentliches zu verzichten. Und erfahre, dass meine Lebensqualität dadurch steigt. Um den Weg zu sehen, müssen wir geistig ins Morgen springen und uns fragen, wie wir dort hingekommen sind. Wir müssen sozusagen erstmal die Welt in unserem Kopf neu und besser erfinden, damit wir in Richtung einer besseren Zukunft gelangen.
Welche Stakeholder sind dafür besonders gefragt?
Alle. Wirtschaft, Märkte, Politik, Institutionen, Individuen, Bürger – alle. Wir können nicht mehr das eine gegen das andere ausspielen. Man wird irgendwann nichts mehr verkaufen können, das große CO2-Freisetzungen erzeugt. Dafür gibt es inzwischen einen Markt. Es gibt eben nicht nur die gefährlichen Tipping Points in der Natur, sondern auch positive Kipp-Punkte, in denen neue Technologien und Verfahren richtig abheben. Das können wir uns nur deshalb so schwer vorstellen, weil wir im Gehirn immer 30 Jahre in der Vergangenheit leben. Dort, wo unsere eigenen Gewohnheiten entstanden sind. Und dieser „old mind“ sagt immer: Es geht nicht. Es kann gar nicht gehen!
Wird es aus Ihrer Sicht nötig sein, noch mehr nationalstaatliche Kompetenzen an übergeordnete Institutionen abzugeben?
Diese Entwicklung ist ja bereits voll im Gange. Die entscheidenden Institutionen, die den ökologischen Wandel voranbringen, sind ja bereits staatenübergreifend. Auch wenn alle auf Europa schimpfen, hätten wir ohne die EU bislang vermutlich wenig vorzuweisen. Das fängt schon bei den Abgasrichtlinien an, die ja europäisch sind. Und jetzt haben wir einen recht großen „Green Deal“. Oder denken wir an die UN oder an den Weltklimarat IPCC, das sind alles übergeordnete Organisationen, die schon eine gewisse Wirkung haben.
Obwohl es diese Institutionen bereits gibt, scheint aber viel zu wenig weiterzugehen.
Wenn man ganz genau hinschaut, ist es nicht so düster, wie wir uns das vormachen. Der CO2-Ausstoß von Europa und den USA ist bereits vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt. Auch in China wird der Carbon Peak – der Ausstoß, nicht der Anteil des CO2 in der Atmosphäre – wahrscheinlich noch in diesem Jahrzehnt erreicht werden. Wir sind ungeduldig, das ist verständlich, aber man kann Gras nicht wachsen lassen, indem man daran zieht.
Wie können Unternehmen Teil der positiven Entwicklung sein?
Es erfordert eine Visionsentwicklung, die das Unternehmen in eine innovative Richtung bringt. Im Hausbau zum Beispiel tut sich gerade eine Menge in Richtung „integriertes Bauen“. Man kann Häuser noch aus Beton und Verschalung bauen und 18 verschiedene Gewerke beauftragen, aber das führt zu immer mehr Chaos auf der Baustelle. Man kann aber auch auf neue Baustoffe und Digitalität, auf Präfabrikation und Cradle-to-Cradle setzen. Also Häuser bauen, die man in 80 Jahren sortenrein recyceln kann. Man kann clevere Lösungen für CO2-freie Häuser anbieten. Ich wohne in einem Haus, das das fast schafft. Unternehmen im Bausektor, die jetzt als Spinner gelten, werden die Sieger sein. Die Augen weit offen zu halten bedeutet Unternehmertum. Zu erkennen, wie sich diese Umweltfaktoren und die Bedingungen meines Geschäfts verändern und kreativ damit umzugehen wird die Überlebensfähigkeit von Betrieben immer stärker bestimmen. Manche Unternehmen denken allerdings noch stark in Lobby-Begriffen, sie wollen ihr altes Konzept um jeden Preis bewahren, anstatt in den Innovationsmodus zu gehen.
Wie viel Zeit bleibt Betrieben für diesen Wandel?
Es gibt das Gesetz des skalierten Wandels. Es passiert lange nichts, dann kommen kleine Korrekturen. Auf einmal eskaliert die Entwicklung aber immer schneller. Man braucht ein Jahrzehnt, um sich umzubauen. Aber das haben wir. Darüber hinaus wäre es auch ein Irrtum zu glauben, dass alle Unternehmen überleben müssen.
Viele Forscher erwecken gerade nicht den Eindruck, dass die Wirtschaft noch ein Jahrzehnt für diese Transformation hat. Ist es aus Ihrer Sicht noch nicht
fünf nach zwölf?
Die Fünf-vor-Zwölf-Logik bringt uns nicht weiter. Man muss sich als Betrieb entscheiden: Ist man Teil der Lösung oder des Problems? Man sollte sich auch als Mensch entscheiden: Ist man Teil der Angst oder der Zuversicht?
Anstatt unsere Lebensweise zu verändern, hoffen viele auf bahnbrechende neue Technologien. Eine Sackgasse, Herr Mathias Horx?
Die Technologie ist ein wichtiger Teil des ökologischen Wandels, wir sollten das nicht kleinreden. Allerdings geht es auch um intelligentere Systeme und letzten Endes um die Kooperationsfähigkeit und Kreativität von Menschen. Vielleicht finden wir sogar eine Hochenergiequelle in den nächsten 30 Jahren, eine neue Art von Fusionsenergie, die uns alle Energieprobleme vom Hals schafft. Aber wenn man weiß, dass die Sonne jeden Tag eine Million Mal mehr Energie auf die Erde bringt, als wir jemals nutzen können, wird klar, dass auch Solarenergie, Wind, Biomasse und viele andere erneuerbare Energietechniken uns vom Kohlenstoff-Verbrauch wegbekommen können. Wenn wir zum Beispiel Solarkollektoren einfach in Wände und Dächer integrieren könnten, sodass jedes Haus „vollsolarisiert“ ist, hätten wir innerhalb von wenigen Jahren so viel Elektrizität, dass wir den ganzen Tag den Rührmixer laufen lassen können. Na ja, schiefes Bild. Aber Sie wissen schon, was ich meine. Wir müssen nicht alles glauben, was nicht geht. Wir könnten auch ausprobieren, was uns wirklich weiterführt.
Matthias Horx hat 1998 das Zukunftsinstitut mit Sitz in Frankfurt und Wien gegründet. Er ist der profilierteste Redner zum Thema Trends im deutschsprachigen Raum und als Zukunftsberater für namhafte Firmen tätig.
Wie immer dürfen wir abschließend auf unsere eccos22®-Angebotspalette aufmerksam machen. Auch der Wirtschaftsverlag hat bereits ein eccos22® Management Assessment durchlaufen und dabei wichtige Impulse für seine Nachhaltigkeitsaktivitäten erhalten hat. Alle Details zu finden auf www.eccos22.com.