Verschwendung – auf die Perspektive kommt es an!
Das Vermeiden operativer Verschwendung ist notwendig – greift allein allerdings deutlich zu kurz. Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, einem Mitarbeiter in einer Produktionslinie zu erläutern, was es bedeutet, dass ich mich seit 20 Jahren mit nachhaltiger Entwicklung von Organisationen bzw. mit nachhaltiger Unternehmensführung beschäftige. Seine Zusammenfassung war: „Ah, Sie beschäftigen sich mit Verschwendungen und Verlusten!“ Und ja, das ist bei uns das tägliche Thema. Praktisch gesagt, beschäftige ich mich mit der Verschwendung von Zeiten, Arbeit, Rohstoffen, Platz, Beständen, Transport, Energie, Kapital und Humanressourcen. Aber vor allem auch mit Qualitätsverlusten und Ausschuss, wo viele dieser Produktionsfaktoren nicht zielführend eingesetzt werden. Ich war erstaunt, wie gut er mich verstanden hatte.
Unternehmen sind seit jeher darauf fokussiert, ihre Betriebsabläufe zu optimieren und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, indem sie den übermäßigen Verbrauch oder die ineffiziente Verwendung von Ressourcen so gering wie möglich halten. Das ist mit operativer Verschwendung gemeint. Ziel wäre es, alle Aktivitäten bestmöglich in Nutzleistung umzusetzen und somit die Wertschöpfung zu erhöhen.
Dies ist prinzipiell die Grundphilosophie des effizienten Umgangs mit den Ressourcen in allen Bereichen der Organisation. Aus diesem Ansatz lässt sich die Definition von Verschwendung (japanischer Begriff: „Muda“) eindeutig ableiten und ist eine Analysemethode im Lean Management Ansatz.
Wo und auf welchen Ebenen im Unternehmen findet Verschwendung statt?
Wenn Sie sich ehrlich, abseits des Nachhaltigkeits-Award-Marktes, mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen und sich ganz bewusst und klar mit Ressourcenverbrauch bzw. mit Verschwendung und Wertschöpfung aber auch mit Werterhaltung beschäftigen, werden Sie viele Aspekte erkennen, die mit strategischer und organisationaler Verschwendung einerseits und operativer – Prozessualer Verschwendung andererseits zu tun haben. Gerade ein systematisiertes Nachhaltigkeitsmanagement zielt auf die Verringerung von Verschwendung auf den ersten beiden Ebenen ab.
Aus unserer Sicht greift es zu kurz, sich beim Thema Verschwendung nur die direkt wertschöpfenden Bereiche des Unternehmens anzusehen, die sich sowieso in den letzten 20 Jahren intensiven Optimierungsvorhaben unterziehen mussten. Erhebliches Potential liegt häufig auf anderen Ebenen verborgen, wie zum Beispiel in den Schnittstellen einer Organisation. Und solche Potentiale lassen Unternehmen bedauerlicherweise immer wieder liegen.
Kommt das Thema „Verschwendung“ zur Sprache, denkt man schnell an Ansätze der Lean Produktion in den direkt wertschöpfenden Bereichen des Unternehmens (Produktion, Montage, Logistik etc.), vielleicht inzwischen auch in den eher indirekten, administrativen Aufgabenstellungen (Verwaltung, Vertrieb, Einkauf etc.). Soweit ist das sicherlich nicht falsch. Hier stecken regelmäßig auch heute noch Möglichkeiten, die eine nachhaltige Verbesserung der Wettbewerbsposition in puncto Qualität, Zeit und Kosten ermöglichen. Nicht selten ist dies eine absolute Grundvoraussetzung, um überhaupt noch am Wettbewerb teilnehmen zu können.
Ein wichtiges übergeordnetes Ziel in Organisationen ist es aber, die Zukunftsfähigkeit zu verbessern, manche nennen es auch Überlebensfähigkeit. Nachhaltigkeit heißt aber nicht Überlebensfähigkeit, sondern übersetzt Zukunftsfähigkeit und meint, die Zukunft aktiv gestalten und nicht reaktiv. Diese Zukunftsfähigkeit lässt sich indirekt durch die Entwicklung des Unternehmenswertes messen. Wenn wir also eine Wertperspektive anlegen und die Frage stellen, wie der Wert des Unternehmens langfristig bestmöglich gesteigert werden kann, dann beobachten wir regelmäßig Folgendes: Unternehmen lassen zum Teil lieber erhebliche langfristige Erfolgs- und damit Wertpotentiale ungenutzt liegen, als sich damit zu beschäftigen oder diese sichten zu wollen.
Wo und in welcher Hinsicht werden nun Potentiale „verschwendet“?
Verschwendung von Potential findet auf allen Ebenen statt (strategisch und organisational einerseits sowie operativ andererseits).
Was verstehen wir unter strategischer Verschwendung? Diese findet statt, wenn Vision, Mission, Werte und Ziele nicht klar sind, wenn das Wertschöpfungsnetzwerk, die strategischen Prozesse bzw. Supportbereiche des Unternehmens diese Vision, Mission und Werte sowie Ziele des Unternehmens nicht unterstützen, das Leistungsspektrum unklar definiert ist und Schlüsselkräfte mehr für verwaltende Funktionen/Rollen einteilt werden, als für gestaltende. Dies ist ganz klar als strategische Verschwendung zu bezeichnen.
Ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Strategieprojekt ist oft nicht aufwändiger als ein Lean-Projekt im Unternehmen (auch wenn vielleicht zum Teil andere Personenkreise involviert sind). Wenn man nicht gezielt auf dieser höchsten Ebene ansetzt, lässt man nicht nur Potential liegen, sondern gefährdet fahrlässig eine weiterhin erfolgreiche Unternehmensentwicklung. Im Kontext strategischer Überlegungen müssen im ersten Schritt die übergeordneten Ziele für die Weiterentwicklung des Unternehmens festgelegt werden. Dabei stehen die drei Zieldimensionen Wachstum, Rendite und Risiko im Mittelpunkt. Und auch hier findet häufig strategische Verschwendung statt. Nämlich dann, wenn das Führungsteam (i.d.R. Gesellschafter, Geschäftsführung) keinen Konsens über die „richtige Zielfunktion“ hat. Aus unserer Sicht darf keiner der drei Parameter übermäßig ausgeprägt sein, keiner darf vernachlässigt werden. Stattdessen müssen die drei Zieldimensionen in die richtige Balance zueinander gebracht werden. Dies ist sehr anspruchsvoll und höchst individuell, näherungsweise kann man es aber mit der einfachen Geometrie halten:
Die Fläche eines Dreiecks (diese versinnbildlicht hier den Unternehmenswert) ist bei einem vorgegebenen Umfang dann am größten, wenn alle Seiten die gleiche Länge haben – und damit keine der Dimensionen unverhältnismäßig stark ausgeprägt ist. Die nebenstehende Abbildung veranschaulicht das sehr gut: |
Um also eine gute und wirksame Strategie zu erarbeiten, ist zuvor eine klare Entscheidung über diese Zielfunktion notwendig. Und egal, ob Wachstum, Rendite oder die Risikoposition im Vordergrund stehen, die jeweils anderen Dimensionen müssen ebenfalls mit einem hohen Stellenwert ausgestattet sein. Schließlich muss die Strategie sauber, konsequent und transparent erarbeitet und umgesetzt werden, um den Weg zu den Wettbewerbsvorteilen von morgen nicht nur zu sehen, sondern auch tatsächlich gehen zu können. Hier können unterschiedliche Instrumente und Logiken zur Unterstützung helfen, die allesamt die dauerhafte Umsetzung der getroffenen strategischen Entscheidungen zum Gegenstand haben. Beispielhaft sei hier nur auf die OKR-Systematik (Objectives and Key Results) oder Balanced Scorecard hingewiesen. Diese trägt entscheidend zur gemeinsamen Ausrichtung, Fokussierung und Mitarbeitereinbindung bei, indem
- alle Aktivitäten auf die übergeordneten strategischen Unternehmensziele ausgerichtet werden,
- alle Organisationseinheiten abgestimmt sind,
- jeder genau weiß, was wichtig ist und die Top-Prioritäten kennt,
- nur „wertvolle“ Maßnahmen umgesetzt werden und so Verschwendung vermieden wird,
- jeweils ein Einjahreshorizont angesetzt wird, so dass die Strategie im jeweils operativen Zeitraum betrachtet und so für die Beteiligten zum Teil der täglichen Arbeit wird.
Die klare Vereinbarung von
- richtungsweisenden Zielen für ein Jahr (Objectives)
- anzustrebenden Ergebnissen (Key Results) sowie den dafür erforderlichen
- Projekten und Maßnahmen (Initiatives)
sorgt für klare Priorisierungen und macht die Strategieumsetzung verbindlich und transparent.
Damit kommen wir zur organisationalen Verschwendung. Es sagt sich immer so leicht: die Organisationsform muss zur gewählten Strategie passen, sprich „structure follows strategy“. Richtig ist das schon, nur in Zeiten sich immer schneller verändernder Rahmenbedingungen durchaus anspruchsvoll. Denn wie sollen die gewohnten stabilen Organisationsformen vieler Unternehmen diesen neuen Anforderungen gerecht werden?
Reorganisationsprojekte und viel Aufwand für Change Management sollen häufig Abhilfe schaffen. Dabei wird aber in der Regel versucht, von einem stabilen in einen nächsten stabilen Zustand zu springen. Das Organigramm wird angepasst, die Kästchen hin und her geschoben, die Menschen zum Teil in neue Rollen gebracht. Die grundlegende Philosophie von klar definierten Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten bleibt im Grunde aber bestehen, keiner kennt jedoch seine Verantwortung. Das wird zukünftig nicht mehr ausreichend sein. Denn der Umfang der Aufgaben im Unternehmen, die eben nicht häufig wiederkehrend, sondern sehr sprunghaft und ohne großen Vorlauf erledigt werden müssen, nimmt schon heute stark zu und wird weiter zunehmen. Stabile Zustände sind in diesen Fällen also nicht die richtige Antwort.
Dort, wo Mitarbeitende beispielsweise vorgegebene Prozesse umgehen, um einen Kundentermin zu halten, hat das häufig nicht mit Bequemlichkeit und mangelnder Disziplin zu tun. Stattdessen verhalten sich Mitarbeitende zwar ganz im Sinne des Kunden, aber eben nicht regelkonform. Dabei sind die angewandten Problemlösungsprinzipien (also zum Beispiel Prozessbeschreibungen) teilweise nicht mehr dazu geeignet, das gerade jetzt vorhandene Problem effektiv und effizient zu lösen. Das ist für uns Verschwendung.
Ein Ansatz kann in diesem Zusammenhang sein, an bestimmten Stellen im Unternehmen Modelle der Selbstführung und der Selbstorganisation einzusetzen, zum Beispiel dort im Unternehmen, wo es um Aufgaben geht, die nicht effizient durch Stabilität, sondern vielmehr mit Prinzipien der Agilität und Anpassungsfähigkeit bearbeitet werden sollten. Das setzt bei Mitarbeitenden eine andere Offenheit und ein hohes Vertrauen in die eigenen Problemlösungsfähigkeiten voraus. Eine solche Herangehensweise schafft einerseits neue Perspektiven für bestimmte Typen von Mitarbeitenden, bei anderen werden eher Irritation und Verunsicherung ausgelöst.
Ich bin der Überzeugung, dass Unternehmen künftig diese Ambivalenz annehmen und für sich nutzen sollten, um die Anforderungen der Kunden von morgen bestmöglich zu erfüllen und weiterhin Wettbewerbsvorteile zu schaffen.
Fazit
Wir sehen immer wieder, dass Potentiale in Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen ungenutzt bleiben, d.h. verschwendet werden. Wir sehen aber auch, dass gerade Unternehmen, die systematisch und mit systemischen Methoden Nachhaltigkeit umsetzen, die besten Voraussetzungen haben, um ihren Wert dauerhaft zu steigern. Das gelingt dort am besten, wo die strategische, organisationale und operative Ebene in einer guten Balance mit der entsprechenden Aufmerksamkeit weiterentwickelt werden und keine der Ebenen dauerhaft im Vordergrund steht.
Wenn uns manche Unternehmen heute sagen, dass sie nur weitermachen müssen wie bisher, um erfolgreich zu bleiben, dann kann ich diese Haltung nur unterstützen. Denn die meisten dieser Unternehmen sind nur deshalb so erfolgreich geworden, weil sie es gewohnt waren, sich laufend zu hinterfragen und weitreichende Veränderungen in Gang zu setzen, wenn sich Potentiale erschlossen haben oder es die Kunden und Märkte schlichtweg gefordert haben.
Nutzen sie daher die Coronazeit, um diese auch ganz anders zu betrachten: Als Chancenfenster, in dem wir endlich einmal aus dem täglichen Hamsterrad aussteigen und Zeit haben: Zeit für Weiterbildung, Zeit zum Lesen, Zeit zum Nachdenken, um sich von Verschwendung zu distanzieren und sich neu zu positionieren.
Gerne begleiten wir Sie im Rahmen einer eccos²²® Sparringpartnerschaft auf Ihrem Weg!